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Bild oben: Das Hebräische Tetragramm JHVH (Jod-He-Vau-He, von rechts nach links), für den Gottesnamen, den Mose vor dem brennenden Dornbusch erhalten hatte.

Graphische Gestaltung: Thomas Jung

Verborgene Musik des Göttlichen: Teil 1

von Thomas Jung | Dreistromgeschichten

Verborgene Musik des Göttlichen: Teil 2

von Thomas Jung | Dreistromgeschichten

Wer bislang ein wenig in die Dreistromgeschichten hinein gehört hat, wird bemerkt haben, dass die Verflechtung der Musik mit anderen Disziplinen und Fächern immer ein wenig mitschwingt. Diese Episode und die nächste werden den Fokus auf solche Verflechtungen richten. Die Musik bleibt dabei im Hintergrund gegenwärtig, wird aber thematisch zum Nebenfach.
Geplant war das nicht. Den Inhalt dieser beiden Episoden 6 und 7 hatte ich ursprünglich in knappen Notizen an’s Ende der letzten Dreistromgeschichte geschrieben. Da das in der lapidaren Kürze kaum verständlich war, hab‘ ich begonnen, die Zusammenhänge zu erklären. Das hat mir meine Folge 5 gesprengt – und zwei neue Podcast-Episoden beschert.

Warum ist diese Folge so lang geraten?

Diese Folge, und das erklärt ihre Länge, hat zwei Schwerpunkte. Zunächst wird es um die Bedeutung, den Wert des „Mythologischen“ gehen. Da ich einen Niedergang im Umgang mit mythologischen Texten wahrnehme, der einher geht mit der Säkularisierung unserer Gesellschaft, ist mir dieser Einschub wichtig.
Denn: In der Tat scheint mir eine simplere Form der Religionskritik eher eine naturwissenschaftlich motivierte Mythologie-Kritik zu sein. Man denke an einen aufgeklärten Zeitgenossen, der die biblische Sieben-Tage-Schöpfung demontiert, indem er lächelnd auf den radioaktiven Isotopenzerfall von Kalium 40 zu Argon 40 in älteren Gesteinsproben hinweist. Besagtes Kalium habe, so wird er, zu Recht, referieren, eine Halbwertzeit von 1,3 Milliarden Jahren. Wer also sollte das Märchen in der Biblische Genesis im 21. Jahrhundert ernst nehmen!
Nun…., religiöse Fundamentalisten jeglicher Couleur sind gegen solche Argumente immun. Die sind gegen alles immun! Aber auch als Nicht-Fundamentalist mag ich nachfragen, auf welchen inhaltlichen Kern die Kritik unseres naturwissenschaftlich aufgeklärten Menschen eigentlich zielt?
Über solchen Fragestellungen ist die Folge insgesamt umfassender geworden als gedacht. Nicht zu sehr, hoffe ich?… Aber diese Frage ist mir, wie gesagt, wichtig genug, um ein Längen-Risiko einzugehen.
Im zweiten Teil dieser Episode möchte ich ein paar hochgradig faszinierende, sprachwissenschaftliche Beobachtungen mit Euch teilen und diskutieren. Sie sind mir aufgefallen, meine Eindrücke kann ich belegen. Da mir die altphilologischen Hintergründe fehlen, stelle ich meine Beobachtungen hier dennoch als Fragen vor, nicht als fertige Antworten oder gar als „Lehrmeinung“. Bin gespannt, wie Ihr darüber denkt…

Zuletzt auf diesem Kanal 😉

Beginnen wir mit einer knappen Erinnerung an die letzte Folge. Wir hatten uns mit den mythischen Anfängen des Jüdischen Volkes beschäftigt. In den jüdischen Traditionen, das hatten wir gesehen, ist die Musik Teil der gesellschaftlichen Gründungsmythen. Sie ist eingebunden in eine gesamt-kulturelle Konzeption, die die Erschließung der Welt jenseits von Eden umfasst. Die Musik wird neben dem Handwerk, dem Städtbau, der Landwirtschaft zur Säule menschlicher Zivilisation. Sie ist namentlich an Gründungsgestalten gebunden und gehört integral zum Bestand dessen, was das Göttliche und das Menschliche ausmacht.
Nun also weiter, in die Mythologie der Schöpfung, letztlich in die Mythologie Gottes. Spielt Musik hier eine Rolle? Ja. Durchaus.
Mythologie! Manch‘ einer lächelt vielleicht. Warum die Beschäftigung mit Mythologie? Mythen sind Märchen, sind irreale Kindergeschichten, die uns weder bei unseren Bemühungen um die Kirchenmusik, noch sonst irgendwo im Leben weiterhelfen.

Wirklich?

Unpassendes Werkzeug auf dieser…

Alle großen Mythen sind in der Tiefe wahr. Davon bin ich überzeugt. In Mythen, in Märchen, spiegeln sich fundamentale Wahrheiten unseres Seins – allerdings nicht, und das ist wichtig, nicht(!) im naturwissenschaftlichen Sinne.
Um diesen Punkt klar zu formulieren: Wer biblische oder außerbiblische Mythologien in naturwissenschaftlichen Kategorien liest und versteht, tut sowohl den Texten als auch den Naturwissenschaften Unrecht und greift großvolumig an der Sache vorbei. Die Welt wurde nicht in den sieben buchstäblichen Tagen ab dem 23. Oktober 4004 vor Christus erschaffen, wie es der anglikanische Bischof James Ussher in seinen „Annales veteris testamenti“ errechnet hatte.
Das war im 17. Jahrhundert, und selbst für diese Zeit wirkt eine solche „Weisheit“ auf mich befremdlich. Bereits im 16. Jahrhundert hatte Girolamo Fracastoro auf viel ältere Fossilien hingewiesen. Der Diplomat Isaac de La Peyrère, ein Zeitgenosse Usshers, fand ebenfalls indizien für eine deutlich längere erdgeschichtliche Vergangenheit – er postulierte gar eine Menschheit vor dem biblischen Adam. Nun gut…, de La Peyrère zur Abbitte nach Rom zu schicken und seine Bücher in Paris zu verbrennen, war sicher einfacher, als sich mit seinen Thesen auseinanderzusetzen. Aber das ist eine andere Geschichte, die hier nicht hingehört. Immerhin ist es eine des 17. Jahrhunderts.

Dass es heute, heute!, im Zeitalter der Satellitentechnik, noch immer Leute gibt, die sich aus biblischen Quellen eine flache Erde ableiten – und auf ihren Einsichten bestehen, entzieht sich meiner Fantasie und meinen Verständnis.

…wie auf jener Seite

Anders herum gilt allerdings auch: Wer unser Menschsein ausschließlich naturwissenschaftlich zu erklären sucht, greift auf der anderen Seite der Skala zu kurz. Die Naturwissenschaften vermessen unsere materielle Welt, von der Plancklänge bis hinauf zur großräumigen Verteilung der Galaxien-Superhaufen. In Zehnerpotenzen sind das ungefähr 70 Größenordnungen. Wir Menschen liegen ziemlich genau in der Mitte – aber: Beschreibt eine solche Wahrheit unser Fühlen, unsere Motivationen zum Handeln, unsere Begrifflichkeiten über Schuld und Erlösung? Bringt uns die chemische Analyse eines Mozart-Manuskripts auch nur ein Jota näher an den Gehalt der Musik, an das, was diese Musik innerlich mit uns macht?
Eine Chemie, die solche Antworten gäbe, wäre keine Chemie in unserem modernen Sinne. Sie stellt, wie alle Naturwissenschaften, Fragen an unsere materielle, messbare Welt und die Wechselwirkungen ihrer Bausteine. Nicht mehr, nicht weniger. Naturwissenschaftliche Antworten verleihen uns eine Herrschaft über den Globus, die uns lange schon vor ganz eigene ethische Herausforderungen stellt.
Jene alten und uralten mythischen Parabeln hingegen bebildern unsere psychischen, emotionalen Wirklichkeiten, unsere menschlichen Innenwelten. Sie sind es, die die Fragen nach Sinn, nach Schuld, nach Erlösung formulieren.

Sie sind es, die diese Fragen von Generation zu Generation tragen. Sie sind es, die uns Menschen durch die Jahrtausende miteinander verbinden.

Das allerdings tun die großen Mythologien der Menschheit mit Kraft. Je allgemeiner ihre Antworten ausfallen, desto tiefer, desto universal-menschlicher werden sie – was übrigens ebenfalls eine der diametralen Unterschiede zum naturwissenschaftlichen Denken ist.
Aber das ist wieder eine andere Geschichte. Hier nur so viel: Ich gebe zu, dass ich zu den Verfechtern derer gehöre, für die beide Denkansätze und beide Fragestellungen wesentlich sind, wenn wir die Welt vollständig verstehen wollen – oder zumindest so vollständig, wie wir es als Menschen können.

Fazit

Zusammengefasst: Unsinn der einen Art produzieren wir, wenn wir mythologische Fragen wissenschaftlich-analytisch zerlegen wollen. Es ist wie bei unserer chemischen Analyse der Mozarthandschrift: Wir zerlegen das Medium. Nicht den Inhalt. Wir zerlegen das äußere Gewand der Geschichten. Nicht ihren inneren Kern. Diesen inneren Kern, die Botschaft, erreichen, geschweige denn erkennen, wir auf diese Weise nie. Nicht einmal ansatzweise.
Unsinn der anderen Art kommt heraus, wenn wir bei naturwissenschaftlichen Problemstellungen Bibel, Koran oder Baghavatgita zücken. Es sind vollkommen unterschiedlich Ebenen. Was sollte, beispielsweise, eine Schöpfungsparabel über das Menschsein, ausgespannt zwischen Gott und Freiheit und Schuld, antworten, wenn diese Parabel nach den Eigenschaften des elektromagnetischen Spektrums im Bereich von 420 Nanometern befragt wird?
Richtig: Gar nichts. Eine Antwort, die, denke ich, auf der Hand liegt. Dennoch: Wie viele Leute vermischen diese Ebenen? Wie viele von ihnen nehmen die widersinnigen Antworten, die sie notwendig erhalten müssen, nicht nur ernst – sondern bauen ihr Weltbild auf ihnen auf?
Mit diesem Rätsel möchte ich Euch in eine Pause entlassen. Danach nähern wir uns den Schöpfungsmythen und dem Aspekt der Musik von einer sprachwissenschaftlichen Seite. Holt Euch erstmal einen Kaffee. Oder, wenn die Pause länger wird, bleibt gesund und genießt das Leben…

Zweiter Teil

Schöpfungsmythen in anderen Kulturen

Willkommen in diesem zweiten Teil unserer Episode. Kehren wir zurück zu den biblischen Schöpfungsmythen und die Frage nach der Musik. Mythen(!) übrigens…, in der Tat sind es zwei. Der eine Text berichtet von den sieben Tagen. Ihm zufolge schuf Gott die Menschen am sechsten Tag.
Der andere Mythos, in 1. Mose 2, erzählt von der Formung des Adam aus der Erde des Ackers. Er erzählt weiter von der Schöpfung der Frau, die Gott aus Adams Rippe modelliert.
Zwei Texte, die sich offensichtlich widersprechen? Warum?
Unachtsamkeit dürfen wir bei einem Buch wie der Bibel mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen. Also sind die Texte absichtlich einander gegenübergestellt? Hängen sie zusammen? Wenn ja – wie?
An dieser Stelle möchte ich diejenigen unter Euch, die weiter forschen möchten, auf das kabbalistische Denken im Judentum verweisen. Von dort aus gibt fesselnde und komplexe Antwortskonzepte auf solche Fragen. Solche Gedanken führen weit weg von jeder kirchlichen Lehre, sind aber absolut faszinierend. Aber: Sie würden nicht mehr nur unsere ohnehin geteilte Episode vollends sprengen. Folgten wir den Antworten, würden sie uns aus unserem Kirchenmusik-Blog hinausführen in die Unendlichkeiten des Denkens und in die Unvorstellbarkeit der Gottesvorstellungen.
Daher mag es bei dieser kurzen Bemerkung bleiben.

Musik…, wir finden sie in der mythologischen Basis der zivilisatorischen Gesellschaft. An dieser Stelle die Frage, ob wir sie noch früher finden? Am ersten Anfang der Welt überhaupt? Musik und Gott?

Auch andere Kulturkreise erzählen von göttlicher Musik als Ursprung der Weltgründung. In der japanischen Mythologie wurde die Welt von der Sonnengöttin Amaterasu wieder in’s Leben zurückgebracht – in der Tat aufgrund von Klang, durch Gesang: Amaterasu hatte sich tief in einer Höhle versteckt. Ohne sie war die Welt in Düsternis und Kälte dem Tod ausgesetzt. Erst die Klänge einer schönen Musik lockten die Göttin wieder hervor – und Amaterasus Erscheinen brachte der Welt ihr Licht und ihr Leben zurück.

Und die Bibel? Die Tora erzählt, wir haben es gesehen, nur wenige Seiten nach der Weltschöpfung explizit von der Musik. Implizit steht sie möglicherweise bereits in den allerersten Versen der Bibel. Implizit? Um das zu verstehen, möchte ich Euch mitnehmen in die Hebräische Sprache, in die berühmte, zentrale Schöpfungsstelle in 1. Mose 3. Luther übersetzt:
Gott sprach: „Es werde Licht!“
In Folge 2 ist uns schon einmal aufgefallen, dass Luther „sprechen“ notiert, obgleich „singen“ gemeint ist. In jedem Fall ist „sprechen“ ein strukturiertes, akkustisches Phänomen. Sprache ist nicht einfach ein indifferentes Geräusch. Sie ist geordneter Schall, ist Klang.
Hier möchte ich Luthers Übertragung einmal zugeklappt lassen und Euch einladen, Euch auf den Hebräischen Urtext einzulassen.

Wenn wir das tun, lösen wir uns von dem, was Kirche im Allgemeinen über die allzu bekannte Schöpfungsgeschichte von den sieben Tagen zu sagen hat. Nun gut…, die offizielle Kirchenlehre will ich hier auch gar nicht wiedergeben.

Der Hebräische Urtext

In 1. Mose 3 also spricht „Gott“ seinen Lichtbefehl: „Es werde Licht!“
Wer aber ist Gott? Im hebräischen Text hat Gott an dieser Stelle der Bibel noch keinen Namen. Das Tetragramm „JHWH“ (Jod-He-Waw-He), mit dem Gott sich namentlich vorstellt, wird erst in 2. Mose 2, überliefert, dort in der Geschichte des brennenden Dornbuschs.
Hier, in 1. Mose 3, im Lichtbefehl, steht im Urtext „Elohim“. Das aber sind mehrere! Obgleich Luther die Stelle mit „Gott“ übersetzt: Elohim ist ein grammatischer Plural! Als Gott in der Singularform müßte dort „Eloah“ stehen.
Die Elohim also erschaffen das Licht – durch Sprache, also durch koordinierten Klang. Sprechen viele Wesen zugleich und synchron, entsteht ein Chorklang, der die Vielen wieder zu einer übergeordneten Einheit zusammenbindet. Schon diese sprachlichen Zusammenhänge enthalten ein Füllhorn religions- und musikphilosophischer Bezüge. Wer mag, kann eine Pause einlegen und weiterdenken…

„Die Götter sprachen…“, dies wäre die nähere Übersetzung. Und in der Tat notiert Luther in 1. Mose 26 die Pluralform: „Lasset uns die Menschen machen nach unserem Bilde.“

Die Menge der Elohim erschafft und spricht. Ein Blick auf dieses unscheinbare Verb „sprechen“ ist spannender, als es scheinen würde. „Sprechen“: Im Hebräischen gibt es (mindestens…) zwei unabhängige Wörter dafür. Das eine ist „dabar“, das andere „amar“.

Im Kosmos des „Sprechens“…

Im Deutschen verwenden wir „spechen“ oder auch „reden“, wenn wir neutral formulieren, dass sich jemand linguistisch äußert. Wir haben einen großen Vorrat von Vokabeln, um hier zu differenzieren. „Diskutieren“ beispielsweise ist eine Form des Sprechens, wenngleich eine mit völlig anderer Gewichtung. Semantisch, also in der Bedeutung, kann ein „Diskutieren“ die Region des „Streitens“ erreichen – wiederum eine weitere Form des Sprechens.
„Trösten“, „Werben“, um etwas, vielleicht gar um eine Braut, auch dies sind Aspekte des Sprechens. Segen, also.., jemandem etwas Gutes, Schönes, Heiliges zu-sprechen, fällt ebenso in diesen Bedeutungskreis. Ein wenig altertümlich, dennoch sehr schön, wie ich finde, ist das Bild des „Im Herzen sprechen“ für Nachdenken.
Faszinierenderweise habt ihr diesen ganzen großen Bedeutungskreis vor Euch, wenn Ihr ein Hebräisches Wörterbuch aufklappt und „dabar“ (gleich „sprechen/reden“) nachschlagt. All‘ diese Bedeutungsnuancen schwingen offensichtlich in diesem Wort mit. Überrascht es Euch vor diesem Hintergrund, wenn auch das poetische Rezitieren eines Gedichtes und, einen Schritt weiter, das Singen zum semantischen Feld von „dabar“ gehört? Noch einmal kurz: Die Semantik ist die sprachwissenschaftliche Disziplin, die sich mit den Bedeutungen von Wörtern beschäftigt.
In den prophetischen Schriften des Tanach, also unseres Alten Testaments, steht häufig das Verb „dabar“. Spricht Gott – oder die Götter – durch die Propheten, spricht er, sprechen sie dort demnach in der umfassenden sozialen Lebenswirklichkeit von uns Menschen – und mit uns Menschen.

Was tut Gott, wenn – sie sprechen?…

Die naheliegende Idee des nächsten Schritts ist faszinierend, wir können ihn aber nur antippen: Würden alle Göttinnen und Götter in einer monumentalen Einheit „Gott“ demnach mit uns Menschen spechen“, indem sie zugleich mit uns streiten und trösten, werben und diskutieren und segnen und singen – all‘ dies gleichzeitig, während sie „nur“ sprechen? Oder „nur“ reden? Eine solche Lesart ist eine Herausforderung an jedes sprachwissenschaftliche Kommunikationsmodell. Es ist ein Abbild der Unendlichkeit in einem kleinen Wort – in dem dennoch die gesamte soziale und kognitive Wirklichkeit von uns Menschen enthalten ist.
Eine biblische Episode, beispielsweise die in 1. Mose 18, ab Vers 16, in der Abraham Gott regelrecht herunter handelt, mit ihm also im Sinne des Wortes diskutiert, wäre nichts anderes als eine von unzähligen Ausformulierungen des einfachen Teilsatzes „Und Gott sprach…“ – eben weil „diskutieren“, neben vielem anderen – auch – zum inneren Teil des Bedeutungsspektrums von „dabar“ gehört. Die besagte Abrahamgeschichte legt einfach nur den Fokus auf diesen speziellen Aspekt.

Zugleich lässt die Hebräische Sprache die Deutung zu, dass die Einheit „Gott“ alle übrigen Aspekte sprachlicher Äußerungen ebenfalls lebt und nutzt: Gott singt, tröstet, denkt, streitet, er tut alles gleichzeitig – und Abraham bekommt als Mensch nur den einen Fokus der Diskussion mit.
Wer mag, kann beliebige Geschichten der Bibel mit dieser semantischen Brille lesen. Hier möchte ich diesen Gedanken in seiner Offenheit stehen lassen.

Der Lichtbefehl im Hebräischen

Wenden wir uns mit diesen Gedanken im Kopf dem berühmten Lichtbefehl in 1. Mose 1, Vers 3 zu: Und Gott sprach: „Es werde Licht!“
Dort steht „amar“, das andere Verb für „sprechen“. Dieses „amar“ hat ebenfalls eine Korona von Bedeutungen. „Sprechen“ oder „sagen“ wäre sicherlich auch hier die neutrale Übersetzung aus dem Hebräischen oder Aramäischen. Aus dem südarabischen Raum ist eine zusätzliche Bedeutungsebene hinzugekommen: Die des „Befehlens“ und des „Offenbarens“.
Die Göttinnen und Götter in ihrer Einheit also offenbarten das Licht. Wäre nicht auch das eine Übersetzungsmöglichkeit? Eine Offenbarung ist eine Offenlegung von etwas, was schon da war. Das immer schon da Gewesene wäre die verborgene Unendlichkeit, die erst das Lied der Elohim-Einheit in’s Licht hinein offenbart, die erst im Chor in’s Licht offen gelegt wird. Interessanter Gedanke…
Und ja…, ein Chor, ein Lied. Ihr hört richtig. Genauer: Das Siegeslied Gottes. Wilhelm Gesenius, Verfasser des hebräisch-deutschen Wörterbuchs, verweist in diesem Zusammenhang auf den 68. Psalm, in dem „amar“ als Siegeslied verstanden werden kann. Und noch ein „Ja“: Auch der Subtext des Verbs „amar“ lässt eine dichterische, eine poetische Komponente zu. Im Blog verlinke ich euch die entsprechenden Wörterbuch-Passagen.

Die Fülle der Übertragungsmöglichkeiten…

Um nicht missverstanden zu werden: Hätte Luther das gesamte semantische Spektrum des Verbs „amar“ erfassen wollen, wäre bereits dieser eine kurze Satz „Und Gott sprach: ‚Es werde Licht!'“ unübersetzbar.
Mit dem deutschen Wort „sprechen“ wählt Luther die vielleicht neutraleste Übersetzungsmöglichkeit des Verbs „amar“. Aber noch ein Detail, auf das mich ein Theologe im Gespräch hinwies: Die Schöpfungsgeschichte ist von ihren Verfassern sehr bewusst komponiert worden. Der Text wurde mit sehr viel Sorgfalt, Gedankenreichtum und Kreativität geschrieben und redigiert. Die Einigung auf eine neutrale Lesart bedeutet daher keineswegs, dass die hebräische Sprache andere semantischen Ebenen nicht mittragen würde.

Vor diesem Hintergrund noch die letzte Übersetzungsmöglichkeit dieser Episode:
Die Einheit der Götter befahl dem Licht durch ihren Siegesgesang, aus dem Verborgenen in die Offenbarung (in das Erkennbare) zu strömen.
Wäre eine solche Übersetzung innerhalb des Bedeutungsgeflechts der Hebräischen Sprache nicht auch denkbar und eben auch möglich?

Die Schöpfung der Welt aus Musik?

Damit würde, wie es andere Kulturen ebenfalls tun, auch die Jüdische Tradition eine Geschichte erzählen, in der das Licht, in der letztlich die Welt aus organisiertem Klang entstanden wäre.
Aus Musik!
Aus einer klingenden Rede, die zugleich, wie ein Samenkorn, das gesamte Bedeutungsspektrum unserer sozialer Interaktion in sich selbst verbirgt. Entfalten kann sich dieses Bedeutungsspektrum-Samenkorn freilich erst im Laufe der Zeit, also – im Laufe der Menschheitsgeschichte. Gilt dasselbe auch für Gott? Und seine endlosen Aspekte? Der jüdische Gott ist der Gott, der sein Volk durch die Geschichte begleitet. Ist das lediglich ein anderer Ausdruck für ein Entfalten aller Aspekte des Menschlichen und Göttlichen, die bereits im klingenden Samenkorn am ersten Anfang der Schöpfung enthalten sind?

In der ersten Episode unseres Podcasts hatte ich gefragt, was Kirchenmusik ist, was sie umfasst. Vielleicht gibt es mehrere Antworten? An dieser Stelle lasse ich Euch mit Euren Gedanken allein. Ihr dürft von hier an selber weiter meditieren, wenn Ihr mögt.
In der nächsten Dreistromgeschichte bleiben wir bei der Weltenschöpfung – dann nähern wir uns ihr mit den Konzepten der Atom- und der Quantenphysik. Und mit Johann Sebastian Bach.
Bis dahin bleibt gesund und geniesst das Leben!