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Eine Weile habe ich hier, auf dreistimmig.com, keine neuen Beiträge mehr publiziert.
Grund dafür war ein Schreibprojekt, genauer: Ein Roman. Der ist während der Arbeit zunehmend größer geworden. Letztlich hat er mich nicht ganz drei Jahre über beschäftigt – aber dazu in späteren Beiträgen mehr.

Nicht nur der Roman bewegt mich, den Blog konzeptionell zu ändern. Einiges von dem, was die Nachrichtenagenturen verbreiten, ist so schrecklich, dass ich es irgendwie verarbeiten muss. Das kann ich nicht gut, indem ich, wie zuletzt, über Liturgiegeschichte referiere. Putins Angriffskrieg auf das Ukrainische Volk verfolge ich mit Sorge, Unwillen und entsetzter Ratlosigkeit.
Emotional noch widerwärtiger ist für mich das, was die Regime in Afghanistan und im Iran mit Frauen und Mädchen machen. Die vertrockneten Religionsgreise in der iranischen Regierung, die Studentinnen, im Namen ihres Gottes, wegen eines verrutschten Kopftuchs ermorden lassen; geriatrische Mullahs, die Frauen, weil sie mit offenen Haaren und angeblich „unislamischem“ Outfit auf dem Fahrrad durch die Straßen radeln, verhaften, einsperren lassen, ihnen Schlimmeres antun, diese Mörder pressen in mir ein Gefühl von Ekel heraus, für dass mir letztlich die Worte ausgehen. Wut, völlige Verständnislosigkeit, ein Gefühl von Ausweglosigkeit bleiben.
Tröstlich ist ein Autor wie Navid Kermani, in dessen muslimischer Spiritualität ein islamischer Blutgott ebenso wenig vorkommt, wie das in meiner nicht-islamischen Weltsicht der Fall ist.

Allah! Im Arabischen so oft als „Ar-Rahman“, als „Ar-Rahim“, als der All-Erbarmer angesprochen. Vermutlich ist es das häufigste Attribut Gottes im Koran, in den islamischen Traditionen, in der allgegenwärtigen Basmala. Die Phantasmagorie eines blutsaufenden Allah in den Hirnen überalterter Ayatollas mit entschieden zuviel Macht und Geld macht für mich weder logisch, noch humanitär, noch emotional, noch ethisch irgendeinen Sinn. Sie macht die Welt und das Leben, vor allem das der Frauen, zur Hölle.

An dieser Stelle spielen Sakralmusik, literarische Formen und Liturgie ihre Stärken aus: Sie geben Sprache zurück, öffnen Betroffenheit, bis hin zur Wut, Wege in kreative Umgänge mit Verbrechen, die sonst im Sinne des Wortes unaussprechlich blieben.

Diesen Weg möchte ich mit euch teilen. Am Ende steht eine Podcastfolge. Am Ende steht auch eine Trauermusik, die entstanden ist, indem ich zwei Stücke zu einem größeren miteinander verschmolzen habe. Auf Basis eines Chorals von Heinrich Schütz ist das Stück in tiefer Trauer Asra Panahi (ermordet im Alter von 15) und Mahsa Amini (zu Tode geprügelt im Alter von 22) gewidmet. Ich denke an die vielen unbekannten Frauen, die ich, weil ohne Wissen um ihre wirklichen Namen, Ceylin, Helin, Zeynep genannt habe; oder Sayra, Enissa, Meral, kurz: an die vielen ungenannten gemordeten, gefolterten, inhaftierten Frauen und Mädchen denke ich, denen die Partitur stellvertretend einige Namen gibt. Und ich denke an all‘ die vielen und viel zu vielen, deren Leben von einer „Religion“, die keine ist, zu einem unentwegten Martyrium verdammt ist.

Bild: Junge Iranerin. Zeichenvorlage: Deutsche Pressagentur, 2022

(Ein Klick auf die Zeichnung öffnet ein neues Tab mit der Partitur zum Audiomodul unten)

Heinrich Schütz (1585-1672), Portrait von Christoph Spätner (um 1660)

Quelle: Wikipedia

Alles ist – grundsätzlich – fertig. Die Partitur (als „Work in Progress“…, das ein oder andere ändert sich sicher noch…) findet Ihr heute schon hier. Wie’s klingt, könnt ihr unten abrufen – leider nur vom Rechner, und aus den Orchesterbibliotheken generiert. Einen Chor, der’s einsingen könnte, hab‘ ich aktuell nicht zur Verfügung. Aber um, ggf. zusammen mit den Noten, einen Klangeindruck zu bekommen, reicht’s hoffentlich.

Nach Weihnachten überarbeite ich das Hörspiel und nehme auf. Bleibt gerne dran.

Und ja: Wenn ich von den Todesurteilen des iranischen Regimes gegen Männer lese, wird mir ebenso schlecht. Udo Lindenbergs Solidarität für den iranischen Rapper Toomaj Salehi beispielsweise teile ich uneingeschränkt. Das Todesurteil gegen ihn ist ein weiteres von viel zu vielen Verbrechen der iranischen Führung.

Aber: Ein einzelnes Stück Musik kann nicht das Leid der gesamten Welt aufnehmen. Ich muss mich beschränken. Hier, in diesem Stück, formuliere ich meine Empfinden bzgl. der strukturell begründeten Gewalt durch Männer gegen Frauen. Ich konzentriere mich auf eine Gattung von Verbrechen, weil mir die Noten sonst auseinanderfallen. Weil ich aber um die fehlenden Aspekte weiß, ist diese Musik wiederum Teil eines Oratoriums. Abendfüllend kann der Fokus weiter sein – und auch den Angriffskrieg gegen das Ukrainische Volk mit aufnehmen. Wenn ihr mögt, bleibt gerne dran: Auch die Arbeiten an diesen Partituren sind recht fortgeschritten.

Für das kommende Jahr hoffe ich auf Frieden! Und auf Freiheit! Freiheit und Frieden, beides! – das eine gibt es nicht ohne das andere.

Und für alle kommenden Jahre wünsche ich mir, nie wieder eine Trauermusik zu schreiben, weil Frauen im Wahn – von wem auch immer – ihre Menschenrechte aberkannt werden. Nichts anderes geschieht im Iran. Nichts anderes geschieht in Afghanistan. Nichts anderes geschieht im 21. Jahrhundert. Es ist so unfassbar, dass dieser Wunsch 2022 Jahre nach dem ersten Weihnachtsfest immer noch so naiv klingt, wie zur Zeit Jesu Christi.

Safety, charity, hope upon Esila, Tiana, Zeynep...

von Thomas Jung

Quellen:

Sofern nicht anders angegeben, sind alle Skizzen und Noten von mir.